Reisebericht Argentinien

Am Mittwoch den 8. Juni haben wir dann gerade das Zeitfenster erwischt, wo man von Santiago nach Buenos Aires fliegen konnte, Strecke ca. 1600km. Durch den Vulkanausbruch einige Tage vorher, war ein Chaos an den Flughäfen entstanden und etliche Flüge gecanceled, was meine Reiseplanungen in der Woche danach noch heftig durchwirbeln sollte. In Argentinien ist die politische Landschaft deutlich lebendiger, vielseitiger und streitlustiger, sowohl was die Parteien als auch die Zivilgesellschaft angeht. Erkennbar ist dieser Unterschied auch an den Hauptstädten, selten solche Unterschiede in einer Region erlebt, auch wenn beide Städte mehrere Millionen EinwohnerInnen haben. Spannend ist die Zeit, da in vier Wochen Wahlen in Buenos Aires sein sollten und im Oktober Präsidentschaftswahlen anstehen, sprich politisch gerade einiges in Bewegung ist. Der Wahlausgang ist leider nicht sehr erfreulich, der Rechte Mauricio Macri hat die Wahl in Buenos Aires gewonnen. Am Abend stand dann auch die erste größere Veranstaltung an, ein Auftritt bei Hacks/Hackers bei ihrem zweiten Treffen in Buenos Aires. Hacks/Hackers ist international dezentral organisiert und bringt Journalisten und Programmierer zusammen um über OpenData, Datenjournalismus und Fragen des Internets zu diskutieren. An dem Abend waren rund 130 Leute da und ich habe die Visualisierung meiner Vorratsdaten präsentiert und anschließend über Datenschutz und Bürgerrechte im digitalen Zeitalter diskutiert. Eine Veranstaltung die man auch in Berlin/Deutschland etablieren sollte, der Austausch ist in diesem Bereich noch zu gering. In Buenos Aires konnte man sehen das sich gestandene Zeitungsjournalisten seit über 30 Jahren im Beruf mit diesen Fragen auseinandersetzen und erkennen welches Potential in der stärkeren Verzahnung der Arbeit für beide Seiten stecken kann.

Besuch bei Canal 7 im Studio von 678

Besuch bei Canal 7 im Studio von 678

Am Donnerstag fand dann ein gemeinsames Mittagessen mit dem ehemaligen Kulturminister und bekannten Soziologen José Nun statt. Er konnte gemeinsam mit seinem Kollegen Alejandro Grimson spannende Eindrücke in die politische Debatte Argentiniens geben. Beispielsweise das der rechtskonservative Bürgermeister von Buenos Aires, Macri, anscheinend auch mit Unterstützung deutscher Parteistiftungen, in den vergangenen Monaten teilweise einen politischen Populismus gegen AusländerInnen und MigrantInnen geführt hat, wo Formulierungen anscheinend wörtlich aus der deutschen Debatte übersetzt wurden. Bei einem Gespräch mit der Generalsekretärin der Partei EDE ging es dann um Fragen der Transparenz in der politischen Kultur, Parteiarbeit und die Vielschichtigkeit in der politischen Landschaft. Ich habe immer noch nicht verstanden welche zahlreichen Untergruppen es vom Peronismus gibt, oder von manchen mittlerweile auch als Kirchnerismus bezeichnet, und wer mit wem wo welche Bündnisse schmiedet. Es scheint zumindest sehr lebendig zu sein und politische Gegensätze werden gerne auch einmal ignoriert wenn es um Machtfragen geht. Abends ging es dann zum staatlichen Fernsehen, Canal 7. Dies ist ein Staatsfernsehsender auf nationaler Ebene. Nach einer neuen Mediengesetzgebung ist die Medienlandschaft in Argentinien gerade im Umbruch, was auch zu erheblichen politischen Verwerfungen der aktuellen Regierung mit den etablierten Medienunternehmen geführt hat. Ziel der neuen Gesetze ist mehr Vielfalt und Transparenz. Sendelizenzen werden zukünftig zwischen staatlichen, privaten und zivilgesellschaftlichen Akteuren aufgeteilt. Es gibt gemeinsame Pools an Inhalten, die von der Zivilgesellschaft genutzt werden können um ihre Programme zu bearbeiten. Zudem gibt es einen klaren Drang zu Digitalisierung und der Bereitstellung von öffentlich finanzierten Inhalten unter freie Lizenzen. Die politische Unabhängigkeit des Staatssenders sehe ich nicht gegeben, sondern wird komplett von politischen Akteuren gesteuert. Eine Einbeziehung von gesellschaftlichen Gruppen findet in Argentinien in die Kontrolle der staatlichen Sender nicht statt, dafür haben sie wiederum mögliche eigene Sendeplätze. Ein praktisches Beispiel ist der Fernsehsender der Baugewerkschaft. Das ist letztendlich ein Heimwerkersender, mit Sicherheitstipps, Dokumentationen und Diskussionen rund ums Thema Bauen, Handwerken etc. Bemerkenswert ist, wie stark der staatliche Sender zum politischen Spielball wird. In der Vergangenheit unter Carlos Menem kaputtgespart und sogar privatisiert. Jetzt wurde es von der Regierung Kirchner wieder aufgebaut und mit der neuen Mediengesetzgebung wieder gestärkt. Ein spannendes Format ist „678“ ein Diskussionsformat was abendlich zur Primetime kommt und medienkritisch die Nachrichtenlage diskutiert, eine Mischung aus Presseclub und Medienanalyse. Bei einem Staatssender natürlich nicht immer ganz frei von der Idee eine Öffentlichkeit für die eigene Politik zu bieten, vom Ansatz her und Zuspruch der Leute aber sehr interessant, da wohl sehr reflektiert umgegangen wird. Wenn es zu dem Thema einmal eine deutsch- oder englischsprachige Analyse gibt, wäre ich sehr daran interessiert.

Pressefrühstück in Buenos Aires mit Juan Carlos Villalonga

Pressefrühstück in Buenos Aires mit Juan Carlos Villalonga

Am Freitag gab es dann ein gutbesuchtes Pressegespräch mit Juan Carlos Villalonga und mir. Juan Carlos ist ehemaliger Campaigner/Koordinator von Greenpeace Argentinien gewesen und war deren öffentliches Gesicht. Jetzt ist er Vorsitzender von Los Verdes/FEP. Das FEP ist eine Plattform die es seit bald zehn Jahren gibt und Akteure aus zivilgesellschaftlichen Gruppen, vornehmlich Umweltbereich, zur politischen Debatte zusammenbringt. In der jüngeren Vergangenheit hat es die Ergänzung um den Namen Los Verdes gegeben und man hat stärker neue RepräsentantInnen von Gruppen die andere Themen vertreten versucht einzubinden, sei es Bürgerrechte, Neue Medien oder der Sozialen Bewegung, die vor allem nach der Krise 2001/2002 entstanden sind, wo neue Arbeitsmodelle gelebt und Wirtschaftsmodelle vorgedacht werden, Debatte Dritter Sektor unter anderem. Nachmittags gab es dann noch einen Workshop mit Los Verdes/FEP wo ich Online Campaigning vorgestellt habe. Samstag wurde dies bei einem Seminar fortgeführt wo es um die Frage von Strategie in politischen Diskussionsprozessen geht. Spannend ist, das in Argentinien trotz der politischen Lebendigkeit und der aktiven Zivilgesellschaft, neue Formen der Politik kaum vorgedacht werden. Die ökologische Frage ist gerade en vogue, wird aber mehr halbherzig aufgegriffen. Denkmuster sind weiterhin sehr auf dem fokussiert, wie es schon immer war. Den Anspruch vorzudenken, querzudenken, auszubrechen aus dem politischen Korsett, habe ich bei den Gesprächen mit den bestehenden politischen Kräften kaum erlebt. Es wird eine spannende Arbeit gemacht, aber ich habe häufig gehört, „das geht hier so nicht“. Hätten sich die Grünen das bei so praktischen Fragen wie Doppelspitze oder Frauenquote vor 30 Jahren auch zu Herzen genommen, und wären nicht ausgebrochen aus dem System der Parteien wie es damals vorherrschte, wären wir heute nicht da wo wir wären.

Am Sonntag stand dann eine ausführliche Behandlung mit der Geschichte Argentiniens an. Wir haben den Memorial Park besucht, außerhalb von Buenos Aires, was an die Toten und Verschwundenen der Militärdiktatur erinnern soll. Nachweisbar sind 10.000 Menschen gestorben oder verschwunden während der Zeit, manche sprechen sogar von 30.000 Menschen. Eine gängige Praxis war die Gefangenen die teilweise von der Straße oder aus ihren Wohnungen verschleppt wurden, zu foltern, und dann zu betäuben und sie im Flussdelta vor Buenos Aires, bis nach Uruguay sind es über 100km auf dem Wasser, in den Fluss zu werfen. Die Geschichte das auch schwangere Frauen gefoltert wurden, nach der Entbindung getötet wurden und vermutlich bis zu 500 Kinder dann „verteilt“ wurden, vornehmlich an wohlhabende Familien die in dem System mitgespielt haben. Auch deutsche Unternehmen haben während dieser Zeit keine rühmliche Rolle in Argentinien gespielt und das 1978 dort die Fußballweltmeisterschaft ohne größere politische Proteste, auch der deutschen Mannschaft, von statten ging, ist rückblickend ein Skandal. Systematisch wurde während der Militärdiktatur eine Generation junger kritisch und politisch denkender Menschen ausgelöscht, vornehmlich waren die Opfer zwischen 20 und 30 Jahre alt. Die Aufarbeitung hat in den 90er Jahren des Turboneoliberalismus keine Rolle gespielt bzw. wurde politisch unterbunden. Erst jetzt finden wieder Prozesse statt und werden die Täter verfolgt.

Am Sonntagabend gab es dann noch ein Abendessen mit Bea von Via Libre, der Organisation in Argentinien wenn es um freies Wissen und netzpolitische Fragen geht. Zum Abendessen ist dann auch noch der bekannte Dokumenarfilmer Pino Solana dazugestoßen, der jetzt als Bürgermeisterkandidat für die Partei Projecto Sur antritt.

Am Montag war dann eigentlich mein letzter Tag in Buenos Aires, da ich dann nach Washington fliegen sollte, um bei der CFP zu reden. Doch Sonntagnacht war schon klar, das wird alles schwieriger als ich gedacht habe. Obwohl der Vulkanausbruch schon über eine Woche her war, so hat er in den Tagen den Flugplan quasi lahmgelegt. Ich hing permanent in Hotlines um Flüge umzubuchen, Veränderungen zu erfragen wann der Flughafen wieder freigegeben wird usw. Am Montag war dann klar das ich nicht an dem Tag wegkomme, und so konnten die geplanten Termine, ein Mittagessen mit Viktoria Donda, jüngste Abgeordnete des Nationalparlaments, Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses und persönlich stark mit der Militärdiktatur verbunden, da sie selber eines der Kinder war, dessen Eltern getötet wurden und sie an eine andere Familie weitergegeben wurde. Bei dem Gespräch ging es dann um Menschenrechtsarbeit allgemein, aber auch darum wie verfilzt das System heute teilweise noch ist und Täter geschützt werden. Nachmittags habe ich dann noch das CELS besucht, eine der etabliertesten Bürgerrechtsorganisationen auf dem Kontinent wo es um die Verzahnung der Bürgerrechtsarbeit ging, die Verknüpfung von neuen und alten Fragen der Bürgerrechte und wie Bürgerrechte im Internetzeitalter geschützt gehören.

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