Rede: Bucerius Lab 2016 zu „In was für einer digitalen Zukunft wollen wir leben?“

Diese Rede habe ich am 20. Februar 2016 in Hamburg auf Kampnagel gehalten. Sie war der Einstieg für das Abschlusspodium zum Symposium „Die kalifornische Herausforderung“ der Zeit-Stiftung. Es gilt wie immer das gesprochene Wort.

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

vielen herzlichen Dank für die Einladung.

Dieses Symposium trägt den Namen „Die kalifornische Herausforderung“. Aber warum ist es eine Herausforderung, was ein paar Millionen Menschen an der Westküste der USA, denken, voranbringen und umsetzen? Vielleicht ist es eine Herausforderung, weil man sich hilflos, planlos oder vor allem überfordert fühlt. Das liegt nicht nur an der schnellen Taktzahl die vorgegeben wird, sondern auch an uns. Daran, das wir auch im Jahr 2016 in Deutschland und Europa einen ehrlichen Diskurs über den digitalen Wandel verpassen.

Auf die Frage „In was für einer digitalen Zukunft wollen wir leben?“ gibt es keine einfache und vor allem schnelle Antwort. Sie zwingt zu einer ernsthaften Diskussion.

Und vor allem setzt eine Antwort den Anspruch voraus, selber die digitale Zukunft gestalten zu wollen. Nicht in Abgrenzung, als gezwungenes Gegenmodell zur kalifornischen Denke, sondern mit einer europäischen Erzählung. So wie in Kalifornien die Suche nach dem Neuen prägend war, sind es in Europa Humanismus und Aufklärung.

Notwendige Bedingung für eine tragfähige Erzählung ist eine gesamtgesellschaftliche Debatte, die inklusiv, breiteste Teile unserer Gesellschaft mit einbezieht.

Dafür muss der bisherige digital- bzw. netzpolitische Diskurs neue Akteure anziehen. Bisher wird dieser Diskurs vom links-progressiven Spektrum in Europa geführt und auch dominiert. Gegenspieler sind allein die Regierungen und einige Wirtschaftsunternehmen. Debatten laufen eher im Basta-Stil ab, als uns wirklich inhaltlich voranzubringen. Es fehlt an konservativen Akteuren, die die Diskussion bereichern und andere gesellschaftliche Gruppen einbinden. Als Linker freue ich mich natürlich über diese Dominanz, glaube aber, dass neue Akteure der Diskussion über das Leben in der digitalen Zukunft gut tun würden. Ein Leben, in der Digitalisierung, Automatisierung und Vernetzung allgegenwärtige Realität sein werden.

Klar ist, diese Diskussion muss europäisch erfolgen. Nationale Kleinstaaterei bringt uns hier gar nicht weiter. Wer glaubt mit nationalen Digitalen Agenden weiter zu kommen, hat die Gestaltungsdimension nicht verstanden. Die Veränderungen sind global. Darum muss die Diskussion mindestens europäisch stattfinden, um Relevanz zu erzeugen.

Eine tragfähige Erzählung der digitalen Zukunft aus Europa heraus, muss wertebezogen sein. Gerade in Zeiten wie diesen, wo viele Menschen glauben die Welt gerät aus den Fugen, wo Kriege, Flucht und Elend, allgegenwärtig sind. Wo grundsätzliche Menschenrechte in Frage gestellt werden. Wo Werte zur Verhandlungsmasse werden. In genau diesen Zeiten ist eine Wertedebatte notwendig. Nicht nur um sich selbst zu vergewissern, sondern auch um nach vorne zu schauen, und der anderen Seite unsere Werte entgegenhalten zu können.

Der digitale Umbruch wird massiv sein. Dieser Umbruch beeinflusst Arbeitsverhältnisse, soziale Dienste, Bildungsmöglichkeiten und soziales Zusammenleben umfassend. Der Umbruch kann Ungleichheiten verstärken oder abbauen. Es liegt an uns, in welche Richtung es geht.

Dabei wäre es zu kurz gesprungen, sich nur eine Werte- und Rechtefrage herauszugreifen. Beispielsweise die zukünftige Bedeutung der informationellen Selbstbestimmung. Als Datenschützer könnte ich jetzt lange ausholen. Betonen wieso Datenschutz echte Zukunftspolitik ist. Wieso nicht alles möglich sein muss, was technisch möglich ist. Meine Sorge über eine Entsolidarisierung ausdrücken, wenn Krankenkassen unseren Versicherungstarif zukünftig von den Werten unseres digitalen Schrittzählers, Pulsmessers und Essverhaltens abhängig machen. Warum gesellschaftliche Spaltung und Ausgrenzung zunehmen könnten.

Alles sehr wichtige Themen, wo ich leidenschaftlich eine klare Position zu vertrete. Aber letztendlich nur ein Baustein in der Debatte, in was für einer digitalen Zukunft wir leben wollen.

Es geht um mehr. Zum Beispiel um unsere demokratischen Verfasstheit. Darf mein Wahlverhalten individuell beeinflusst werden? Oder um unser solidarisches Miteinander. Wie wichtig ist uns kollektiver Schutz, im Vergleich zur individuellen Absicherung? Und was ist uns internationaler Zusammenhalt wert, wenn alles nur einen Klick entfernt ist?

Ich bin davon überzeugt, dass in Zeiten globaler Herausforderungen, auch globale Antworten notwendig sind. Ich glaube das Technologie dabei zukünftig eine entscheidende Rolle spielen wird. Ihr Einsatz muss aber in einem Wertegerüst stattfinden. In den USA beginnt eine Wertediskussion über die Möglichkeiten Künstlicher Intelligenz. Es ist eine Debatte die auch wir führen müssen. Die Debatte, welche Rolle Technologie zukünftig in unserem Leben spielen soll.

Ich möchte das dies eine umfassende Rolle ist. Ich glaube das mein Lebensstandard und der vieler anderer Menschen erhöht werden kann, nicht nur bei uns, sondern weltweit. Mehr Nachhaltigkeit, mehr Gerechtigkeit und sogar mehr individuelle Freiheit sind möglich. Über Voraussetzungen wie schnelles, freies und unzensiertes Internet, echten Datenschutz und einen hohen Stand der IT-Sicherheit will ich hier nicht sprechen. Statt blindem Technologieoptimismus, braucht es die zielbezogene, rechtlich und wertegebunde Technologieentwicklung. Kein reines Schwarz oder Weiß.

Ich will mich auf einen Wert konzentrieren. Der als wesentlicher Teil einer europäischen Erzählung dienen kann. Nämlich die Offenheit. Nicht , im Sinne von Transparenz und dem gläsernen Bürger. Sondern Offenheit als gesellschaftliche, systemische und technologische Offenheit.

Gesellschaftliche Offenheit ist ganz eng verbunden mit unserer aktuellen Diskussion um Flucht, Einwanderung und Pseudodebatten von Obergrenzen. Erlangt Europa endlich die gemeinsame Erkenntnis, dass sich die Gesellschaft öffnen muss? Die Erkenntnis, Millionen neue Menschen einzuladen hier zu leben und Integration nicht nur als ehrenwertes Ziel, sondern als große Aufgabe zu verstehen. Dies wird die Probe sein, ob wir Neues anfassen. Die Angst vor Neuem abzulegen, und sich mit einer gesunden Vorfreude auf Neues zuzubewegen, dafür ist gesellschaftliche Offenheit wichtig. Wenn wir es bei empathischen Menschen nicht schaffen, brauchen wir es bei kühler Technologie erst gar nicht versuchen.

Die systemische Offenheit setzt auf ein neues Staatsverständnis. Ein transparentes Staatswesen, was Offenheit nicht auf OpenData Portalen abschiebt, sondern als Kern der Arbeit versteht. Neue Formen unseres Parlamentarismus, verbindliche Beteiligung der Menschen und eine Verwaltung die gestalten will, statt lediglich reaktiv zu verwalten. Systemische Offenheit muss europäisch angestoßen werden. Sie kann Grundlage für eine Neugründung der Europäischen Union werden, um Legitimationsdefizite zu beenden und um eine neue Überzeugung für Europa bei den Menschen zu wecken.

Technologische Offenheit kann dann den Unterschied für den europäischen Wirtschaftsstandort machen. Vorgabe wäre, konsequent bei Software und Hardware auf Offenheit zu setzen. Damit wird Überprüfbarkeit ermöglicht, zur Weiterentwicklung eingeladen und zum Umbau berechtigt. Hackers Paradise. Es gäbe dann offene Bau- und Schaltpläne, egal ob beim Auto, dem Staubsauger oder Nahrungsmitteln. Es bestehe die Möglichkeit selber Ersatzteile im 3D Drucker zu erzeugen. Eine echte Kreislaufwirtschaft würde den Ressourcenverbrauch eindämpfen, da alle Zusammensetzungen bekannt und damit wiederverwertbar wären.

Ein solch breiter Ansatz von Offenheit wäre eine echte Alternative, Teil einer eigenen europäischen Erzählung. Der Anspruch nicht alles anders zu machen, sondern besser als im kalifornischen Denken. Grundansätze des offenen Internets zurückerobern, als sich in abgeschotteten Gärten und Plattformen einzumauern.

Ein solcher Ansatz der Offenheit würde nicht alles perfekt machen, aber vieles verbessern. Es würde Ziele formulieren, an denen man seine Arbeit und technologische Entwicklung ausrichtet. Selber einmal zu gestalten, etwas neues, eigenes und spannendes aufbauen, statt hinterherzulaufen und nachzuahmen.

Der Feind der Offenheit sind die alten Akteure. Staatliche Stellen, wie Geheimdienste oder eine bürokratische Verwaltung. Oder Großkonzerne, die glauben ihre Technologieführerschaft zu verlieren, wenn sie die überhaupt noch haben, und auch die Firmen, die ihre alten Geschäftsmodelle zu Tode reiten.

Für mich ist die Antwort auf die Frage in was für einer digitalen Zukunft wir leben wollen, die Erzählung vom guten Leben im digitalen Zeitalter. Eine Erzählung für die Menschen, und nicht für die Wirtschaft. Wir müssen davon wegkommen den digitalen Wandel als vornehmlichen wirtschaftlichen Umbruch zu verstehen, und damit die gesellschaftspolitischen Fragen zu vergessen. Offenheit ist für mich ein wesentlicher Bestandteil eines solchen guten Lebens. Um dahin zu kommen, brauchen wir aber einen neuen digital/netzpolitischen Diskurs, der erstmals in der gesamten Gesellschaft geführt werden muss.

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