Grüne – Mehr Offenheit, mehr Diskussion und mehr Denken an übermorgen

In wenigen Tagen ist Bundesdelegiertenkonferenz, der jährlich stattfindende Bundesparteitag der Grünen. Langweilig wird sie nicht, es zeichnen sich eher viele Abstimmungen ab. Sei es in der Steuerfrage, bei der Weltanschauung, seien es Gastredner und zudem ein öffentlich zur Schau getragenes Unverhältnis zwischen den Parteivorsitzenden. Zehn Monate vor einer Bundestagswahl sollte in einer Partei Aufbruchstimmung sein, stattdessen herrscht Verunsicherung.

Diese Verunsicherung ist vielschichtig. Diese ist zum einen der aktuellen weltpolitischen Lage geschuldet, mit steigenden Wahlergebnissen für rechte Parteien oder der Komplexität von internationalen Konflikten. Zum anderen die Verunsicherung in der grünen Partei selbst. Bundestagsabgeordnete kämpfen um die Wiederaufstellung auf aussichtsreichen Listenplätzen, denn anders als 2013 herrscht keine Euphorie und Glaube an eine stark wachsende grüne Bundestagsfraktion. Damit einher geht eine Funktionärsebene, die sich mehr Zeit für die Abwägung von Inhalten und Flügeldebatten nimmt, als für konstruktive programmatische Vorschläge nach vorne. Viel zu oft haben sich die Grünen in den vergangenen Jahren außerdem von Einzelereignissen beeinflussen und verunsichern lassen und manchmal sogar treiben lassen, egal ob es ein Wahlerfolg oder eine Wahlniederlage war.

Die Probleme mögen hier und da personeller Natur sein, es bedarf aber auch struktureller Lösungsansätze. Darum wird nicht Die oder Der eine das Ruder herumreißen, die Partei als Ganzes muss sich bewegen.

Statt sich der Schuldfrage für diese Situation anzunehmen, gehören Lösungsansätze auf den Tisch. Wie kommen die Grünen aus der Verunsicherung heraus und verhindern damit in einem Zustand zu enden, in dem sich aktuell die SPD befindet, nämlich ideen- und kopflos.

Die Formel zur Lösung sollte lauten: Grüne müssen mutiger werden, durch mehr Offenheit, mehr Diskussion und mehr Denken an übermorgen.

Neue Offenheit

Eine Partei repräsentiert einen Teil der Gesellschaft. Das gilt auch für die Grünen. Bei den Grünen heißt das um die 50, weiß und westdeutsch, eher männlich als weiblich. Menschen, die man klassischerweise als die Mitte der Gesellschaft bezeichnet. Einerseits schön, andererseits gefährlich damit genügsam und saturiert zu werden. Um dieser Gefahr zu entgehen, muss die Partei sich öffnen, mehr Beteiligung zulassen und sogar aktiv fördern. Entsprechend konkrete Ideen des Bundesvorstandes liegen dem Parteitag vor, doch Beachtung finden sie leider kaum, obwohl sie in die richtige Richtung weisen. Veränderungen in den Strukturen, Macht abzugeben und mehr Transparenz durchzusetzen sind wichtige Ziele, aber wer sich in der Partei eingerichtet hat, will Macht lieber halten, statt sie zu teilen. Die Grüne Partei braucht mehr Offenheit in ihren innerparteilichen Prozessen. Nicht die gehören belohnt, die am meisten Sitzfleisch in Gremiensitzungen haben, sondern die, mit den besten Ideen.

Aufbruch durch Offenheit, mehr Mitgliedern aktive Beteiligung ermöglichen und attraktiver für Neumitglieder sein, muss das Ziel für den Wandel zur Beteiligungspartei im 21. Jahrhundert sein.

Mehr Diskussion

Zehn grünmitregierte Länder (G-Länder) sind es schon, bald werden es mit Berlin vermutlich elf sein. G-Länder ist mittlerweile zur innerparteilichen Zähleinheit geworden, fast wie beim Quartett. Zweifelsohne sind die Grünen eine staatstragende Partei, das ist gut, gilt es zu bewahren und ist ein Erfolg grüner Politik. Die Grünen wurden gewählt, weil die Menschen denken das die Grünen die besseren Ideen haben. Deshalb braucht eine Partei auch Luft zum atmen. Luft für kontroverse Debatten und Zeichen, dass die Grünen von Inhalt und politischer Form, doch anders sind als alle anderen Parteien, denn auch das ist Eigenständigkeit. Schaffen die Grünen keine neue Diskussionskultur, droht die Erstickung im tagespolitischen Klein-Klein. Bestehende Formate und Strukturen reichen dafür nicht aus, bzw. haben ihren Zweck nicht erfüllt wie sie sollten. Die Lockerheit politische Kontroversen konstruktiv auszutragen, ist verloren gegangen. Ganz egal um was es geht, irgendwo kommt ganz schnell per Zeitungszitat, Tweet oder Facebookpost der Vorwurf des Verrats, egal ob aus dem Bund oder den Ländern. Ein Generalverdacht, geschuldet dem Misstrauen, ist vielerorts anzutreffen. Man würde sich wünschen, Cannabis wäre schon freigegeben, dann könnte man hier und da einmal eine Tüte in die Runde geben um die Lockerheit künstlich zu erzwingen, um zu sagen das politische Diskussionen, nicht politische Provokationen!, notwendig sind, auch wenn sie gegen tagespolitische Entscheidungen stehen. Die friedliche Koexistenz parteipolitischer Ziele und tagespolitischer Regierungsarbeit muss bei Grünen noch besser werden. Die Grundlage ist das Selbstverständnis, dass alle Teil einer grünen Bewegung, einer progressiven Kraft für das 21. Jahrhundert sind. Die Währung ist Vertrauen. Eine Partei muss es aushalten, auch einmal divergierende Ziele in sich zu vereinen, egal ob regionalspezifisch begründet oder durch eine politische Richtung geprägt. Die neue grüne Stärke muss in politisch spannenden Debatten münden, in denen gestärkte Länder und eine freie, denn momentan in der Opposition befindliche Bundesebene, konstruktiv mit guten Konzepten nach vorne hin gerichtet um Inhalte streiten.

Denken an übermorgen

Keine Selbstbeschäftigung sollte ein neues Grundsatzprogramm werden. Vom Bundesvorstand als Idee schon dem Parteitag in Ansätzen vorgelegt, sollte dies offensiv als Chance nach vorne vertreten werden. An 2020 haben die Parteimütter und Parteiväter vermutlich nicht gedacht, als 1980 die Grüne Partei gegründet wurde. Im Januar 2020 feiert die Grüne Partei ihren 40. Geburtstag. Ein guter Anlass, ein drittes Grundsatzprogramm zu verabschieden. Nicht als kommunikatives Ereignis inszeniert, oder als reiner Selbstzweck, sondern aus der Notwendigkeit heraus, grüne Programmatik fortzuentwickeln, Identifikation durch Inhalte zu erzeugen. Seit dem letzten Grundsatzprogramm 2002 hat sich die Partei und die Welt stark verändert, gerade außen- und europapolitisch. Damals war kaum an einen drohenden neuen Kalten Krieg zu denken. In Osteuropa herrschte Begeisterung für die EU und nicht wie heutzutage mancherorts tiefe Ablehnung oder sogar Verachtung. Die ökologische Modernisierung unserer Gesellschaft war Thema, aber eher in der Nische, statt im Mainstream. Gesellschaftliche Offenheit war Realität und wurde zelebriert, gerade dank den Grünen wurden die ersten gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften offiziell und feierlich eingetragen. Stattdessen erleben wir heutzutage eine breite Front an konservativen und rechten Kräften, die den gesellschaftlichen Rollback, das Ende der Offenheit als Ziel hat. Und mit der Digitalisierung, Vernetzung und Automatisierung, waren technologische Veränderungsprozesse in ihrer Tiefe und Tragweite für alle gesellschaftlichen Bereiche kaum absehbar. Anlässe genug, ein neues Grundsatzprogramm anzustoßen, sich den eigenen Positionen zu vergewissern, aber vor allem programmatisch nach vorne zu blicken, an übermorgen zu denken. Auf diesem Weg Parteimitglieder und die Öffentlichkeit, insbesondere auch Nichtwähler, mitzunehmen, birgt die Chance, Menschen, die Lust haben, politisch etwas zu verändern, eine politische Heimat zu geben. Statt Verunsicherung herrscht dann Aufbruch, statt programmatisch-taktischer Scharmützel, wird konstruktiv um politische und gesellschaftliche Visionen gestritten. Und all das macht die Grüne Partei doch aus.

Grüne sollten den Mut haben dies anzugehen.

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  1. Peter

    Bei so viel „neuer Offenheit“, so viel Kretschmann, Schwarz-Grün und einer ordentlichen Portion Palmer, kann es sehr leicht passieren, dass ihr eure Stammwähler verliert. Ich werde euch jedenfalls nach derzeitiger Lage zum ersten Mal nach fast 25 Jahre nicht mehr wählen. Mit dieser Ausrichtung seid ihr von sogar vom kleineren Übel weit entfernt. Und das ist sehr schade.