Das Ende des Internets wie wir es kennen

Ich habe in einer Analyse auf Zeit Online die Tarifänderung der Deutschen Telekom bewertet.

Die Telekom will den Datenstrom ihrer Kunden drosseln. Sie beendet damit das Prinzip der Netzneutralität und das anonyme Surfen, analysiert Malte Spitz von den Grünen.

Ab dem 2. Mai wird sich einiges ändern in der deutschen Internetlandschaft. Die Deutsche Telekom wird dann nur noch Verträge für Breitbandinternetzugänge mit begrenztem Datenvolumen verkaufen. Egal ob DSL, VDSL oder Glasfaser, die Menge an Daten ist ab sofort endlich. Was man vom mobilen Internetzugang schon kennt, wo spätestens nach zwei oder fünf Gigabyte mit Highspeed Schluss ist, soll uns jetzt auch zu Hause ereilen. Wer sein Datenvolumen ausgeschöpft hat, wird dann gedrosselt und kann nur noch mit 384 Kilobit pro Sekunde surfen. Bei einem VDSL 50 Anschluss bedeutet das eine Reduzierung von über 99 Prozent der Bandbreite.

Begründet wird das mit den begrenzten Kapazitäten und damit, dass der Ausbau der Netze teuer ist. Allerdings überschreiten laut Auskunft der Telekom derzeit gerade einmal drei Prozent der Nutzer und Nutzerinnen die genannten Volumengrenzen. Das lässt andere Hintergründe vermuten.

Laut Zahlen der Bundesnetzagentur von 2011 hat die Deutsche Telekom 12,28 Millionen Breitbandkunden. Wenn es bei der Drosselung wirklich nur um die drei Prozent Heavy-User geht, würde das 368.000 Anschlüsse betreffen. Bei der Telekom heißt es, dass man bei Einführung der Drosselung Zusatzvolumen für einen einstelligen Eurobetrag nachbuchen kann. Selbst wenn man dafür 9,99 Euro als Höchstpreis annimmt, würde das bei 368.000 Anschlussinhabern, die sich jeden Monat das doppelte Inklusivvolumen kaufen, gerade einmal 44.115.840 Euro bedeuten.

Für maximal 44 Millionen Euro Mehreinnahmen im Jahr wird die gesamte Struktur im Festnetzinternet umgestellt? Für 44 Millionen Euro werden potenzielle Kunden vertrieben, werden Streitigkeiten über Fehlberechnungen und ein katastrophales Image in Kauf genommen? Diese maximalen Mehreinnahmen würden weniger als 0,1 Prozent des Jahresumsatzes der Telekom ausmachen.

Das Unternehmen hat schon einmal einen so radikalen Schritt versucht, als es die Handysubvention bei T-Mobile abschaffen wollte. Das wurde nach Protesten schnell korrigiert. Das alles zeigt, dass es eben nicht um drei Prozent der Nutzer und um 44 Millionen Euro möglicher Zusatzeinnahmen geht. Es geht darum, die Netzneutralität abzuschaffen.

Das Zauberwort der Telekom lautet dazu managed services. Laut Pressemitteilung des Unternehmens werden managed services nicht auf das Inklusivvolumen angerechnet. Die managed services sind Inhalte, die die Telekom exklusiv durchleitet, beispielsweise Daten der eigenen Entertain-Plattform oder auch Sprachtelefonie. Auf den ersten Blick klingt das logisch, wird die Telekom doch nicht wollen, dass alle Entertain-Kunden nach einer Woche vor einem schwarzen Bildschirm sitzen oder niemand mehr telefonieren kann. Auf den zweiten Blick aber zeigt es, welche Gefahr in dieser „Tarifänderung“ steckt. Sie kann zum Ende des Internets führen, wie wir es kennen und nutzen.

Denn erstens ist die Telekom Infrastrukturanbieter und Inhalteanbieter zugleich. Mit Entertain wird ein eigenes Produkt von der Drosselung ausgeklammert. In Entertain ist Videoload integriert. Der Dienst erhält durch die Tarifänderung gegenüber der Konkurrenz wie Maxdome einen Vorteil. Damit werden sich Entertain-Kunden entscheiden müssen, ob sie lieber über das integrierte Videoload-Portal ihre Filme und Serien kaufen, oder über Maxdome oder iTunes, deren Gigabyte für einen HD-Spielfilm auf das Datenvolumen angerechnet werden.

Selbst wenn Entertain allen Bewerbern offensteht, verhandelt die Telekom damit in vielen Bereichen in eigener Sache. Sie ist also nicht mehr der neutrale Infrastrukturanbieter, der lediglich Datenpakete durchleitet. Sie ist damit ein Medienkonzern mit eigenen Angeboten und daraus folgenden Interessen. Das schafft sowohl für neue Anbieter als auch für die etablierte Konkurrenz Hürden. Die Gefahr steigt, dass die Vielfalt sinkt und dass es neue Entwicklungen schwerer haben, sich am Markt durchzusetzen.

Zweitens sollen managed services die Regel werden. Bei der Tarifänderung geht es nicht um ein paar Prozent der Endkunden, es geht um exklusive Kooperationen mit den Anbietern der Inhalte. Denn jeder kann bei der Telekom einen solchen managed service für sein Angebot buchen, auch iTunes. Je mehr solcher bezahlten Kooperationen und Verträge die Telekom abschließt, desto mehr Geld verdient sie.

Im Mobilfunkbereich gibt es so etwas schon heute mit dem Musikstreaming-Angebot Spotify. Die Daten von Spotify werden bei Telekom-Kunden nicht auf das Datenvolumen angerechnet, Spotify zahlt dafür an die Telekom. Die Telekom vereinnahmt ihre Kunden, um Inhalteanbieter zu zwingen, Gebühren zu zahlen. In der Folge wird es immer mehr Anbieter von Inhalten geben, die bereit sind, für eine Aufnahme in die Entertain-Welt zu bezahlen.

Diese Kontrolle der Nutzer, die wir schon vom iTunes Store bei Apple kennen und kritisieren, wird so weitergetragen auf die Ebene des Internetzugangs. Das „gemanagte“ Internet der Entertain-Welt ist damit nur eine Umschreibung für Gängelung.

Das aber ist nicht alles, denn drittens kommen auch die sogenannten Qualitätsklassen. Die Errichtung eines managed service ist letztendlich die Einteilung des Datenstroms in Qualitätsklassen. Welche Inhalte werden bevorzugt durch reservierte Bandbreite durchgeleitet, welche Angebote müssen sich den Rest der Kapazität an Volumen und Geschwindigkeit teilen? Damit besteht die Gefahr, dass Nutzer und Nutzerinnen auf bestimmte eigene Angebote und Plattformen gelenkt werden. Sie ist umso größer, je weniger Restbandbreite die Telekom für alle übrigen Dienste lässt. Gerade in Zeiten knapper werdender Kapazitäten, mit denen die Telekom selbst argumentiert, ist das nicht zu vernachlässigen.

Sehr bedenklich ist auch, dass man managed services nicht anonym wird nutzen können. Denn um vom Datenvolumen ausgenommen zu werden, muss die Telekom wissen, wer welche Dienste nutzt.

Die angekündigte Tarifänderung drosselt also nicht nur einige Heavy-User. Die Tarifänderung ist der Versuch, den lange gehegten Plan von René Obermann umzusetzen, alle zur Kasse zu bitten: Kunden, Plattformbetreiber und Inhalteanbieter. Das ist das Ende der Netzneutralität: Eine Bevorzugung bestimmter Inhalte wird zwingend dazu führen, dass andere Angebote benachteiligt werden.

Die einzigen, die das verhindern können, sind die Kunden. Wenn sie ähnlich wie beim Ende der Handysubvention agieren und ihrem Protest durch eine Kündigung Ausdruck verleihen, könnten sie diesen Plänen ein Ende bereiten. Eine andere Chance gibt es derzeit nicht. Was zeigt, wie wichtig es ist, die Netzneutralität und die Plattformneutralität endlich im Gesetz zu verankern, statt lediglich mir leeren Floskeln ihre Bedeutung hochzuhalten.

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