Beschluss des Grünen Landerrats – Überwachung stoppen!

Der grüne Länderrat, das wichtigste Beschlussgremium von Bündnis 90/Die Grünen zwischen den Bundesdelegiertenkonferenzen, hat sich am 06.07.2013 mit den Enthüllung von Edward Snowden und der politischen Situation in Deutschland befasst und den folgenden Beschluss einstimmig gefasst.

Überwachung stoppen!

Ohne konkreten Anlass werden Millionen Menschen unter Generalverdacht gestellt, Botschaften verwanzt, Unternehmen ausspioniert und private Chats mitgelesen. Dies führten uns die Enthüllungen der letzten Tage und Wochen bezüglich der flächendeckenden Überwachung der digitalen Kommunikation durch die Geheimdienste der USA, Großbritannien und anderer Staaten vor Augen. Das erschreckende Ausmaß legt die massiven Verstöße gegen elementare Grundrechte offen. Das Ausspionieren von Milliarden Datensätzen in Geheimprojekten wie PRISM, Boundless Informant und Tempora widerspricht jeglichen rechtsstaatlichen Grundsätzen und ist ein eklatanter Vertrauensbruch zwischen Verbündeten. Wir Grüne fordern die umgehende Einstellung dieser Überwachungsprogramme und die sofortige Löschung gespeicherter Daten. Die Überwachungsstruktur der Geheimdienste ist global.Für uns Grüne ist es deshalb wichtig noch stärker als bisher mit BürgerInnenrechtsbewegungen in den USA und anderen Ländern für unsere Grundrechte on- wie offline zu streiten.

Edward Snowden, der die Abhörpraktiken an die Öffe ntlichkeit gebracht hat, hat Deutschland und anderen betroffenen Ländern einen großen Dienst erwiesen. Er darf weder durch Strafverfolgungsmaßnahmen in den USA zum Schweigen gebracht werden
noch einzig auf Länder angewiesen sein, die selbst eine fragwürdige Menschenrechtsbilanz haben. Wir fordern deshalb die Bundesregierung auf, sich dafür einzusetzen, dass Edward Snowden in die Europäische Union einreisen kann, in der EU aufgenommen und nicht an die USA ausgeliefert wird. Wie nötig Edward Snowden diesen Schutz hat, zeigte sich exemplarisch an der Zwangslandung des bolivianischen Präsidenten Evo Morales und die Durchsuchung seines Flugzeuges, was einzig und allein
auf Druck der USA geschah.

Die Merkel-Regierung hat beim Schutz der Bevölkerung, der Unternehmen und auch ihrer eigenen Einrichtungen vor Überwachung und Spionage versagt. Statt entschlossen zu handeln und Klartext zu reden, geht Angela Merkel auf Tauchstation. Bundesinnenminister Friedrich bedankt sich sogar noch für die Arbeit der US-amerikanischen Sicherheitsbehörden.

Es liegt nun an Bundeskanzlerin Merkel zu erklären, in welchem Umfang Daten aus diesen Überwachungsprogrammen zur Verfügung gestellt und von deutschen Stellen verarbeitet wurden. Auch die eigene Praxis der deutschen Geheimdienste sowie deren intensive Zusammenarbeit mit ausländischen Diensten muss umfassend öffentlich aufgeklärt werden. Es zeigt sich, dass die bisherige parlamentarische Kontrolle der Geheimdienste nicht funktioniert. Geheim tagende Abgeordnetengremien bieten nicht genügend Rechtssicherheit.

Wir Grüne fordern:

  • Eine umgehende Einstellung der bekannt gewordenen Überwachungsprogramme der USA und Großbritanniens und die Entwicklung gemeinsamer rechtsstaatlicherStandards für die Arbeit der Geheimdienste im Dialog mit den USA und Großbritannien sowie anderen Staaten unter Einbeziehung von Datenschutz- und VerfassungsrechtlerInnen.
  • Eine Aufnahme von Edward Snowden in der Europäischen Union etwa durch eine Aufenthaltserlaubnis in Deutschland für Edward Snowden nach §22 des Aufenthaltsgesetzes, denn es bestehen „dringende humanitäre Gründe“. Außerdemgebietet das politische Interesse der Bundesrepublik Deutschland eine entsprechende Aufnahmeerklärung.
  • Die Einführung eines Gesetzes zum Schutz von Whistleblowern, um ihnen Schutz vor straf- oder auch zivilrechtlicher Verfolgung zu gewähren. In Auslieferungsabkommen müssen dazu entsprechende Ausnahmeregelungenverankert werden.
  • Ein Auslieferungsverfahren abzulehnen, falls die USA dieses im Fall EdwardSnowden fordern, da der politische Charakter der Taten Edward Snowdens dies rechtfertigt.
  • Von Angela Merkel und ihrer schwarz-gelben Bundesregierung die Offenlegung darüber, welche Informationen sie über diese Überwachungspraktiken hatten und in welchem Umfang Daten aus solchen Praktiken auch deutschen Sicherheitsbehörden zur Verfügung gestellt und von diesen genutzt worden sind.
  • Das Verbot der Verarbeitung und Nutzung von Informationen und Daten, wenndiese nach deutschem Recht illegal abgefangen wurden.
  • Die konkrete Information der Öffentlichkeit und des Deutschen Bundestages über die Art und Weise der Überwachung des Internets durch den BND und anderer deutscher Geheimdienste im Inland wie im Ausland.
  • Die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses im Europäischen Parlament, um das Ausmaß der Überwachung von EuropäerInnen zu ermitteln und um die Arbeit der Geheimdienste in Europa aufzuklären.
  • Das bisherige Safe Harbor (Datenschutzabkommen zwischen der EU und USA), SWIFT (Abkommen zwischen EU und USA zur Übermittlung von Zahlungsverkehrsdaten) und die verschiedenen PNR (Fluggastdaten) Abkommen aufzukündigen und neu zu verhandeln.
  • Verhandlungen zur transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft nicht fortzuführen, solange der Verdacht der  massiven Spionage gegen Verhandlungspartner im Raume steht.
  • Die Prüfung eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen Großbritannien wegen der Verletzung von Grundprinzipien der EU-Verträge.
  • Die Aufnahme eines Passus in die Datenschutzgrundverordnung der EU, der es Unternehmen strafbewehrt verbietet, Daten ihrer KundInnen an Staaten weiterzugeben, wenn für die Weitergabe der Daten keine Grundlage im europäischen Recht besteht. Unternehmen gehören in die Mitverantwortung genommen, dass ihre Kundinnen und Kunden vor weitgehender Überwachung geschützt sind.
  • Die grundlegende Ausweitung und Verbesserung der parlamentarischen Kontrolle der Geheimdienste, damit keine flächendeckende, grundlose Überwachung von Bürgerinnen und Bürgern möglich ist. Geheimhaltungsfristen gehören drastisch verkürzt, um auch eine öffentliche Aufarbeitung der Geheimdienstarbeit zu ermöglichen.
  • Die Verbreitung und Förderung von Anwendungen und Techniken, die den Bürgerinnen und Bürgern wie auch Unternehmen die Möglichkeit geben, ihre digitale Kommunikation zu verschlüsseln und zu sichern, wie auch eine anonyme Nutzung von Diensten stärker zu ermöglichen.
  • Transparente Informationspolitik der Bundesländer in Bezug auf die Rolle des Verfassungsschutzes in den Ländern und möglicher Datenverarbeitungen ihrerseits.
  • Eine öffentliche und transparente Diskussion über die zukünftige Sicherheitsarchitektur des Bundes und der Länder und den Bestrebungen zurzunehmenden Ausweitung der Onlineüberwachung in der Bundesrepublik.
  • Die Abschaffung oder grundlegende Überarbeitung der EU Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung. Die Totalprotokollierung aller Kommunikationsdaten der Bürgerinnen und Bürger hat in einem Rechtsstaat und einer freien Gesellschaft keinen Platz. Es darf keine Wiedereinführung der bürgerrechtsfeindlichen Vorratsdatenspeicherung geben. Die nun von CDU und CSU ins Feld geführte „Mindestspeicherfrist“ ist nichts anderes als eine umetikettierte Vorratsdatenspeicherung. Die anlasslose Speicherung von Kommunikationsdaten ist bürgerrechtsfeindlich und stellt die Bevölkerung unter Generalverdacht.

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