Ohnmacht beim Datenschutz

Man kann es sich heutzutage einfach machen: Ein paar flotte Sprüche gegen das Street View Angebot von Google und man schafft es in der Ferienzeit von PolitikerInnen, VerbandslobbyistInnen und in einer nachrichtenarmen, wenn auch nicht langweiligen, Sommerpause schnell ins Fernsehen, auf die Nachrichtenticker oder auch als Experte in ein Interview.

Dabei löst die Diskussion um Google Street View bei vielen Menschen ein Ohnmachtsgefühl aus, vor allem bei denjenigen, denen Datenschutz und informationelle Selbstbestimmung, gerade auch im digitalen Zeitalter, sehr am Herzen liegen und die dafür leidenschaftlich kämpfen.

So richtig verbieten will eigentlich niemand das Angebot von Google Street View, zumindest hat sich zu dieser Position bisher niemand hinreißen lassen obwohl die Argumente dafür mit Sicherheit sehr spannend klingen würden. Es geht aktuell vielmehr um Fristen, um Pflichten und um Formen der Verpixelungen. Vor allem aber verdeutlicht die Diskussion eines: Nach der allgemeinen Aufregung um Facebook im Frühjahr dieses Jahres ruft nun erneut ein Datenschutz-Thema öffentliche Diskussionen hervor. Das zeugt von zunehmender Sensibilisierung der Gesamtbevölkerung, aber birgt auch die Gefahr des zu schnellem Alarmismus, denn die tiefgreifenden Datenschutzskandale lagern woanders. Auch wenn laut Spiegel Online angeblich „nie zuvor in der deutschen Öffentlichkeit so intensiv über den Schutz persönlicher Daten diskutiert“ wurde.

Doch genau hier fängt das Problem an was bei einigen dieses Ohnmachtsgefühl verursacht. Denn ein „Datenschutzskandal“ ist Google Street View nicht, auch wenn es momentan gerne so öffentlich dargestellt wird. Google Street View ist vielmehr ein Abbild der voranschreitenden Diskussion um Öffentlichkeit im Internet und die Herausforderungen mit denen ein moderner Datenschutz umgehen muss. Bedeutende Fragen dieser Diskussion sind, wieviel zur Schau gestellt werden darf, wo man selbst verantwortlich ist und wo die Grenzen für Andere sind, sowie welche Pflichten und Hürden es dabei gibt. In diesem Rahmen kann man versuchen nachzuvollziehen, dass es Menschen unheimlich ist, wenn aus der Höhe von 2,50 Meter ihre Vorgärten und ihre Wohnungen fotografiert werden, teilen muss man diese Ängste aber nicht. Denn schon seit Jahren ist bekannt, dass persönliche Informationen, auch über den Wohnort, zugänglich sind. Man weiss wie gut geschnitten der Vorgarten ist oder wie unaufgeräumt der Platz um die Mülltonnen. Bestimmte Angaben sind gespeichert und mit Postadresse, Namen und vielen weiteren Informationen verknüpft. Die Sorge, dass Geoinformationsdienste, wie Google Street View, neue Datenbanken ermöglichen, in der verschiedene Informationen zusammengeführt werden, ist nicht von der Hand zu weisen, aber letztendlich schon Realität. Denn diese Datenbanken existieren bereits seit Jahren, werden intensiv genutzt und ständig mit neuen Informationen angereichert, und sind auch im Internet abrufbar. Die Deutsche Post lässt Millionen Häuser bewerten – teils durch Briefzusteller, teils durch Andere – und kategorisiert diese. Angeblich werden auch Bilder gemacht. Auskunfteien, beispielsweise Schober, haben Bilddatenbanken, Kundendaten und Hausbewertungen und bieten sie frei auf dem wachsenden Markt von Informationsdienstleistern an, um Direkt-Marketing zu unterstützen oder bei der Bewertung von Neukunden zu helfen. Es wird versucht aus dem Lebensumfeld eines Menschen Rückschlüsse auf sein Kauf-, Bezahl- und letztendlich Sozialverhalten zu schließen. Bei wem im eigenen Treppenhaus Unordnung herrscht, Müll herumsteht, da kann vermutet werden, das diese Person es auch ansonsten nicht so mit Ordnung, Zahlungsfristen oder anderen Dingen ernst meint. Deswegen wirbt eine führende Auskunftei wie Schober damit, 10 Milliarden Zusatzinformationen zu 50 Millionen Menschen zu besitzen, und bietet diese frei an. Im Durchschnitt entspricht das 200 Informationen pro Person. Ebenso wirbt Schober damit 19 Millionen Gebäude „Haus für Haus persönlich vor Ort“ zu bewerten. Mit diesen Daten lassen sich dann „auf Knopfdruck räumliche Zusammenhänge ganz einfach erkennen, analysieren und optimieren. Bundesweit und hausgenau“ (Link nicht mehr verfügbar). Die Angst, dass persönliche Daten mit Geodaten zusammengeführt werden, dass Bilder ausgewertet werden wo man wohnt und lebt, ist längst Realität, (legal) verfügbar und wird von tausenden Unternehmen genutzt. Selbst der Staat und staatliche Stellen mischen in diesem Geschäft mit und verkaufen Luftbilder, Geodaten oder geben dessen Erhebung in Auftrag. Dafür muss es Dienste wie Google Street View gar nicht mehr geben. Mit dem nötigen Kleingeld kauft man sich diese Informationen schon jetzt fein säuberlich aufbereitet und mit viel Wissen über die Menschen, die dort leben, angereichert. Solche Angebote schafft selbst Google momentan (noch) nicht.

Damit wird deutlich, dass Google Street View in der Liste von Diensten und Angeboten, die Daten aufbereiten und bereitstellen, gar nicht die Spitze des Eisbergs ist, oder der große Tiger den es zu bezwingen gilt. Im Vergleich zu dem was die Deutsche Post, Schober und andere Auskunfteien und Unternehmen anbieten, und damit Milliardenumsätze erzielen, ist Google Street View in seiner jetzigen Form auf einmal eher kleiner als der große Eisberg, vor dem man in Wirklichkeit steht. Trotzdem muss man hier mit Vorsicht und Weitsicht agieren. Google unterhält enorme Datenbestände und hat technisch die Möglichkeit entsprechende personenbezogene Daten mit Street View zu verknüpfen und auch die Nutzerinnen und Nutzer können auf einmal detailliert persönliche Informationen zum Nachbar oder dem unliebsamen Bekannten hinzufügen und so die Annonymität der Hausfassade fallen lassen. Hier geht es dann schon, auch im präventiven Sinne, um die Frage von Regulierung, wenn auch nicht um Verbote oder Kontrolle wie von manchem aktuell gerne vorgedacht.

Die Diskussion um Google Street View ist nun im Gange. Es wird gefeilscht, wie lange ein Widerspruch möglich sein soll und in welcher Form das Widerspruchsverfahren zu erfolgen hat. Daneben wird der Zeitpunkt kritisiert, ein solches Verfahren in der Ferienzeit zu starten. Alles ist berechtigte Kritik. Doch auch auf Grund der Kontrolle der deutschen Datenschutzaufsicht hat Google selbst eingeräumt, dass man bei der weltweiten Erfassung der Daten für Street View datenschutzrechtliche Grundsätze unterlaufen hat, indem Daten aus WLAN Netzwerken mitgeschnitten und gespeichert wurden. Das Datenschutzrecht scheint also nicht völlig zu versagen. Dort wo Kritik angebracht ist, Fehler und Missbrauch stattfinden, müssen diese angeprangert und bestraft werden, egal ob bei Google, in Sozialen Netzwerken, bei Firmen die ihre Mitarbeiter ausspähen oder Unternehmen die Journalisten bespitzeln. Gleichzeitig müssen aber auch die bereits genannten Bedenken und Ängste, welche die Möglichkeiten der modernen Datenverarbeitung und die weltweite Zugänglichmachung via Internet auslösen, ernst genommen werden, wenn auch nicht überhöht werden. Sie dürfen nicht zum Mantra einer Politik und gesellschaftlichen Diskussion der Angst werden. Es hilft in der Diskussion wiederum auch nicht weiter, dass der/die einE oder anderE BloggerIn oder NetzaktivistIn es lächerlich findet, wenn die Nachbarin von nebenan einen Widerspruch gegen die Veröffentlichung des Mietshauses bei Google Street View einreicht. Es muss einen Weg geben, der alle Interessen ausgewogen berücksichtigt und Öffentlichkeit im Internet nicht verkleinert, sondern stärkt. Damit zum einen die Interessen der Menschen, die öffentlich wahrgenommen werden möchten, denen es eine Freude ist ihre neue Wohnung und Umgebung per Google Street View ihren Freundinnen und Freunden in aller Welt vorzustellen. Zum anderen dürfen auch die Menschen, bei denen im Gedanken daran, dass online durch ihren Kiez oder durch ihre Reihenhaussiedlung gezoomt wird, Ängste ausgelöst werden, nicht ignoriert werden. Denn das Private geht auch im Zeitalter des Internets weiter als das was in den eigenen vier Wänden passiert, das war der Erfolg der Datenschutzbewegung der 80er Jahre. Beides sollte in der politischen Bewertung zu einem maßvollen Umgang mit dieser Thematik führen, nicht zu einseitiger Politik. Doch diese Gefahr droht, verfolgt man die Debatte der letzten Tage und Wochen.

Längst überfällig ist schnelles Handeln hingegen bei der generellen Auseinandersetzung mit Fragen von Geoscoring, ungefragter Bewertung, Protokollierung und Verknüpfung von persönlichen und teilweise persönlichsten Daten. Hier würde es der Bundesregierung gut stehen, sich in eine aktive Rolle zu begeben. Eine Novellierung des Bundesdatenschutzgesetzes ist hier längst überfällig, ein abgestimmter internationaler Rahmen notwendig. Die Bundesregierung muss die Herausforderungen des Internets im Zusamenhang mit dem Datenschutz dabei genauso aufgreifen, wie vor allem die neuen Möglichkeiten der massenhaften Datenverarbeitung, Speicherung und Bereitstellung. Bei beiden Punkten passiert jedoch nichts. Stattdessen schaut die Regierungsbank mal wieder nur vom Spielfeldrand zu. Schon in der letzten Legislaturperiode ist es dem damaligen Bundesinnenminister Schäuble nicht gelungen, ein wirksames und modernes Datenschutzgesetz auf den Weg zu bringen, was neue Massendatenverknüpfungen genauso angeht, wie die Herausforderungen eines modernen Datenschutzes in der digitalen Zeit. Da erscheint es fast ironisch, dass in den letzten Wochen und Monaten sich gleich drei Bundesminister fast im Tagestakt zum Thema Google Street View und Datenschutz generell zu Wort melden und dabei teilweise drastische Worte wählen, während sie eigentliche Datenschutzskandale, die alle Menschen betreffen, nicht zur Kenntnis zu nehmen scheinen – sei es der millionenfache Austausch von Bankdaten durch das SWIFT-Abkommen zwischen der EU und den USA, der Versuch der Neuauflage der Vorratsdatenspeicherung und der damit verbundenen Protokollierung des Telekommunikationsverhaltens aller Bürger, inkl. der verdachtsunabhängigen sechsmonatigen Speicherung von Standortdaten oder dem Datensammelwahnsinn der durch den Aufbau der Arbeitnehmerdatenbank ELENA stattfindet. Hier fehlen die selbst ernannten DatenschutzministerInnen Aigner, Leutheusser-Schnarrenberger und de Maizière gänzlich. Es gibt weder Kritik, Warnungen noch Gegenvorschläge. Diese Paradoxie führt bei DatenschützerInnen zu einem Ohnmachtsgefühl und der Frage „Wie kann das eigentlich sein?“ Wie kann sich die Nation darüber aufregen, dass Fotos von Häusern und Straßenzügen im Internet frei zugänglich sind, wenn diese mit zahlreichen weiteren personenbezogenen Daten schon jetzt frei verfügbar auf dem Markt der DatenhändlerInnen abrufbar sind. Wie kann es sein, dass eine Bundesregierung nach mehr Datenschutz ruft und diesen gleichzeitig im Vierteljahrestakt durch neue Großdatenbanken, Datensammlungen und Datenaustauschabkommen untergräbt.

Hier ist ein Umdenken notwendig: Es bedarf neuer Gesetze zum Schutz der persönlichen Daten und der informationellen Selbstbestimmung. Parallel sollte die Diskussion geführt werden, welche Rolle das Internet in all unserer Leben einnimmt und Öffentlichkeit im Netz genauso wie der Schutz persönlicher, nicht allgemeiner, Daten sichergestellt werden kann. Insbesondere ist die Diskussion zu führen, welche Chancen das Internet bietet, aber auch welche Risiken manch eineR selbst damit verbindet. Es muss geklärt werden, was Öffentlichkeit im Netz ist, wie man sich selbst schützen und informationelle Selbstverteidigung gegenüber dem Datenhunger von Schober, Google und Co ausüben kann. Dies ist vornehmlich eine gesellschaftliche Diskussion. Dabei ist vor politischen Schnellschüssen oder neuen Gipfeltreffen der Bundesregierung die angeblich alles Lösen sollen, nur zu warnen, den dies löst weder das Ohnmachtsgefühl einiger weniger auf, noch bringt es generell den Datenschutz voran.

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